Interview mit Dr. Löckenhoff: Markt für Kunststoffrohrsysteme wächst

16.12.2008

Kunststoffrohre finden sich heute nahezu in allen denkbaren Anwendungsbereichen für Rohrsysteme. Im Interview beantwortet Dr. Elmar Löckenhoff, Geschäftsführer des Kunststoffrohrverbandes e. V. in Bonn, Fragen zu den Einsatzmöglichkeiten, zur Qualitätssicherung und zu den Wachstumsperspektiven von Kunststoffrohrsystemen.

Das Jahr 2006 galt als ?Superjahr" für die Kunststoffrohr-Industrie.

Welche Entwicklung verzeichnete die Branche in 2007?

Das Jahr 2007 bescherte der Kunststoffrohr-Industrie insgesamt vorzeigbare Ergebnisse. Die Produktion der deutschen Hersteller lag mit 710.000 Tonnen für Rohre aus den klassischen Werkstoffen PE, PVC-U und PP rund 6,7% über der Vorjahresmenge.

Wie groß war der Umsatz der Kunststoffrohrbranche in 2007?

Der Umsatz ist als Erfolgsindikator der Kunststoffrohr-Industrie weniger brauchbar. Wir betrachten deshalb die Veränderung der Mengenentwicklung, entweder den Absatz nach Tonnage oder in Mio. Meter (Haus- und Gebäudetechnik).

Die Prognosen für 2008 sind wegen der globalen Finanzkrise und dem daraus resultierenden Konjunkturabschwung verhalten. Was erwarten Sie für die Kunststoffrohr-Industrie?

Bezogen auf die erfolgreichen Jahre 2006 und 2007 wird das Wachstum bis Ende 2008 deutlich geringer ausfallen. Über alles rechnen wir bis Ende 2008 mit einem Absatzplus von rund 3,5% in Deutschland. Die Risiken - speziell für die Bauindustrie in Deutschland - sind vielfältig: eine unzureichende Ausstattung der Wirtschaft mit Finanzmitteln, vermutlich steigende Zinsen, über dem gesamtwirtschaftlichen

Wachstum liegende Preiserhöhungen, Realeinkommensverluste auf breiter Front und die hohe Verschuldung der öffentlichen Hand. Die Anzahl der Baugenehmigungen dürfte weiter fallen. Gleichzeitig steigen jedoch die Produktion und der Absatz von

Kunststoffrohrsystemen stetig. D. h. unsere Industrie gewinnt Marktanteile zu Lasten anderer Rohrwerkstoffe. Außerdem sind viele deutsche Kunststoffrohrhersteller auch in Osteuropa gut in den Märkten vertreten. Bislang läuft hier die Baukonjunktur noch erfreulich. Der Nachholbedarf an Investitionen in die Infrastruktur ist enorm.

Allerdings steht zu erwarten, dass die internationale Finanzkrise rasch Folgen auch in Osteuropa hat. Wenn es zu Liquiditätsengpässen in der Geldversorgung kommt, dürfte die Konjunktur hier stark einbrechen und das bliebe nicht ohne Auswirkungen für die Kunststoffrohr-Industrie Deutschlands.

Wie viel Prozent vom Kunststoffverbrauch in Deutschland entfallen auf die Kunststoffrohranwendung?

Als Faustformel gilt: Ein Drittel der Kunststoffproduktion geht in die Bauwirtschaft, davon wiederum nahezu ein Drittel in die Produktion von Kunststoffrohrsystemen.

Wie viele Kunststoffrohrhersteller gibt es in Deutschland?

Es gibt zahlreiche größere und kleinere Hersteller. Uns sind rund 65 Kunststoffrohrhersteller in Deutschland bekannt. Die größten und bedeutendsten Produzenten sind im Berufsverband der Kunststoffrohr-Industrie, dem KRV, vertreten.

Wie hoch ist der Marktanteil der Kunststoffrohr-Industrie in der Baubranche?

Diese Frage lässt sich so nicht beantworten und bedarf der Differenzierung nach Teilmärkten. Entsprechend unterschiedlich fallen die Marktanteile von Kunststoffrohrsystemen im Vergleich zu Rohrsystemen aus anderen Werkstoffen aus. Die Teilmarktbetrachtung für 2007 lässt sich dem Geschäftsbericht 2008 entnehmen.

In welchen Anwendungsbereichen werden Kunststoffrohre verwendet?

Kunststoffrohre kommen in allen denkbaren Anwendungsbereichen als Transportmittel für Medien in Frage. Wir unterscheiden grundsätzlich vier Anwendungsbereiche: Versorgung, Entsorgung, Haus- bzw. Gebäudetechnik sowie die Industrieanwendungen. Hier dienen Kunststoffrohre vornehmlich dem Transport von Trinkwasser, Gas und Abwasser sowie anderen Flüssigkeiten (z. B. Chemikalien, Reinstwasser, Salzwasser etc.). Daneben gibt es eine Fülle weiterer

Anwendungsgebiete, z. B. in der Landwirtschaft oder in der Telekommunikation.

Werden Kunststoffrohre hauptsächlich industriell eingesetzt oder auch im privaten Bereich?

Im industriellen Bereich, z. B. in der chemischen Industrie oder auch in speziellen Anwendungen wie dem Schiffsbau etc., kommen zunehmend Kunststoffrohrsysteme zum Einsatz. Bezogen auf die Gesamtverarbeitungsmenge werden die Industrieanwendungen ein wichtiger, aber ein mengenmäßig vergleichsweise kleiner Markt bleiben. Die großen Tonnagen liegen in der Produktion von Trinkwasser-, Gas- und Abwasserrohrsystemen (private Grundstücksentwässerung und öffentliches Kanalnetz) für den erdverlegten Rohrleitungsbau. Neben dem Wirtschaftsbau ist der

Einsatz von Kunststoffrohren im privaten Wohnungsbau nicht mehr wegzudenken. Kunststoffrohre gewinnen in der Sanitär-, Klima- und Heizungstechnik immer mehr an Boden und verdrängen zunehmend die hier bislang geläufigen Werkstoffe.

Worin unterscheiden sich die Rohre für die verschiedenen Verwendungen?

Kunststoffrohrsysteme unterscheiden sich im wesentlichen in den verarbeiteten Kunststoffen und in ihrem Aufbau, dem Profil oder auch Design genannt (also dem Durchmesser, der Wanddicke etc.). In den Bereichen Ver- und Entsorgung finden sich überwiegend Rohrsysteme aus Polyethylen (PE) und Polyvinylchlorid (PVC-U), in den letzten Jahren zunehmend auch aus Polypropylen (PP). Im so genannten

Extrusionsverfahren werden die Kunststoffe in Form von Granulat oder Pulver zunächst erhitzt und plastifiziert, um ihnen dann die Form eines Rohres zu geben. Diese Rohre können entweder durchgängig aus einem Material bestehen (homogene Vollwandrohre) oder einen zwei- bzw. mehrschichtigen Aufbau haben. Dadurch ist es möglich, Rohre zu konzipieren, die den jeweiligen Anforderungen eines Mediums und den äußeren Belastungen im Erdbereich besonders entsprechen.

Welche speziellen Kriterien müssen die Kunststoffe erfüllen?

Kunststoffe und die daraus gefertigten Kunststoffrohrsysteme müssen je nach Anwendungsbereich eine Vielzahl der verschiedensten Qualitätsanforderungen erfüllen, damit sie zum Einsatz kommen dürfen und den vielfältigen unterschiedlichen Anforderungen entsprechen können. Hier gibt es Zulassungs- bzw. Baumusterprüfungen für die Kunststoffe ebenso wie für die verschiedenen Rohrsysteme. Neben den normativen Vorgaben nach europäischen Produktnormen gibt es zusätzliche Anforderungen seitens der Behörden und Anwender. In Deutschland erteilt das Deutsche Institut für Bautechnik den Herstellern bauaufsichtliche Zulassungen; erst wenn ein Hersteller darüber verfügt, darf er seine Erzeugnisse im privaten Grundstücksbereich einbauen. Anforderungen an Rohrsysteme für die Trinkwasser- und Gasversorgung finden sich in den technischen

Regelwerken der Deutschen Vereinigung des Gas- und Wasserfaches (DVGW) wieder, Anforderungen an Rohre in anderen Bereichen in den Zertifizierungsprogrammen von DIN CERTCO.

Gibt es Qualitätszertifikate für Kunststoffrohrsysteme?

Als Bauprodukte müssen Kunststoffrohrsysteme hohen Sicherheitsanforderungen entsprechen. National und europäisch gibt es eine Fülle unterschiedlicher Zeichen, die aber nicht unbedingt etwas über die Qualität der Produkte aussagen. So steht für die Kunststoffrohr-Industrie europaweit noch die CE-Kennzeichnung an.

Wenn die normativen Voraussetzungen für die Führung des CE-Zeichens erfüllt sind, müssen die Hersteller ihre Produkte damit kennzeichnen. Das CE-Zeichen ist allerdings kein Garant für Qualität, sondern ein reines Verwaltungszeichen für den freien Warenverkehr in Europa. In Deutschland sollten Anwender darauf achten, dass Kunststoffrohrsysteme das DVGW-Zeichen (Gas- und Wasser), das behördliche ?Ü-Zeichen" und/oder das DINplus-Zeichen führen, je nachdem um welchen Anwendungsbereich es sich handelt. Dann können die Produkte auf jeden Fall bedenkenlos eingesetzt werden.

Haben Kunststoffrohre Vorteile gegenüber Beton- oder Stahlrohren?

Alle Werkstoffe und die daraus gefertigten Rohre haben spezifische Eigenschaften. Kunststoffrohre sind im Vergleich zu Beton- oder Stahlrohren vergleichsweise junge Produkte, ihre Marktanteile steigen aber beharrlich. Veröffentlichungen der DWA (Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V.) und des DVGW (Deutsche Vereinigung des Gas- und Wasserfaches e. V.) belegen dies. Dabei kommen Kunststoffrohrsysteme zunehmend auch in Nennweitenbereichen zur Anwendung, die bislang eine Domäne der Beton- und Stahlrohre gewesen sind. Das liegt im wesentlichen an den vorteilhaften Eigenschaften der Kunststoffrohrsysteme. Sie sind einfach und kostengünstig zu verlegen, langlebig (ca. 100 Jahre), vorteilhaft

bei Wartung und Instandhaltung sowie hervorragend für die Sanierung bestehender maroder Leitungsnetze geeignet.

Stichwort Nachhaltigkeit: Was leisten die Kunststoffrohre hier?

Kunststoffrohrsysteme sind nicht nur langlebig und am Ende ihrer Nutzungsdauer recyclingfähig, eine wissenschaftliche Studie hat zudem bestätigt: Abwasserkanäle aus Kunststoff haben eine bessere ökologische Leistung.
Auf Initiative des KRV und des europäischen Dachverbandes der Kunststoffrohr-Industrie (TEPPFA) wurde eine europäische Studie bezüglich der Umweltrisiken kommunaler Abwasserleitungen durchgeführt. An der "Untersuchung der Leistungsfähigkeit verschiedener Rohrleitungssysteme bzw. Rohrmaterialien für städtische Entwässerungssysteme unter besonderer Berücksichtigung der ökologischen Auswirkungen während der Nutzungszeit" der Prof. Dr.-Ing. Stein & Partner GmbH war auch ein externer europäischer Sachverständigenausschuss maßgeblich beteiligt. Laut Stein & Partner kann aus der Studie - unter  Berücksichtigung der Beschränkungen der Analysedaten auf Rohre, die höchstens 30 Jahre alt sind und einen Durchmesser von maximal 800 mm haben - gefolgert werden, dass ?Kanalisationen aus biegeweichen Rohren aufgrund der niedrigeren Schadensraten und Schadensrisiken hinsichtlich Infiltration und Exfiltration eine deutlich bessere ökologische Leistung aufweisen."

Welche aktuellen Trends gibt es in der Kunststoffrohrtechnik?

Kunststoffrohrsysteme werden vielfältiger und leistungsfähiger. Die Weiterentwicklung der Kunststoffe und verbesserte Produktions- bzw. Verfahrenstechniken ermöglichen nachfragegerechte Produkte und Lösungen. Dadurch werden die Einsatzmöglichkeiten von Kunststoffrohrsystemen immer breiter. Fortschreiten wird sicherlich die Sanierung bestehender maroder Abwasser- und Trinkwassernetze. Die technischen und ökonomischen Vorzüge von Kunststoffrohrsystemen kommen dabei voll zum Tragen. Weiterhin erwarten wir eine steigende Nachfrage nach Kunststoffrohrsystemen in der Haustechnik. Die

Einsatzmöglichkeiten sind hier sehr vielfältig. In Deutschland wird mehr saniert als neu gebaut. Hier liegen große Chancen für unsere Produkte.
Seit kurzem sind auch die technischen Voraussetzungen für den Einbau von Gasrohren in der Hausinstallation erfüllt. Hier öffnen sich große Möglichkeiten für diesen Teilmarkt. Überhaupt liegt die Zukunft Deutschlands in einer funktionstüchtigen Infrastruktur. Hierzu gehört auch der Aufbau von Glasfasernetzen. Dazu sind Kunststoffrohrsysteme prädestiniert. Die Glasfaserstränge benötigen

langlebige Schutzrohre, und der Aufbau der Versorgungsnetze steht Deutschland noch bevor.

Kontaktadresse:
Kunststoffrohrverband e.V.
Fachverband der Kunststoffrohr-Industrie
Kennedyallee 1-5
D-53175 Bonn
Telefon: 02 28 - 9 14 77 - 0
Telefax: 02 28 - 21 13 09
www.krv.de
kunststoffrohrverband [at] krv.de

Interview: Lothar Handge, Velbert, für die TUBE / Messe Düsseldorf